Eine unterschätzte Achtsamkeitsübung

Zu den vielen Meditationstechniken aus dem Buddhismus, konkret aus der über zweieinhalbtausend Jahre alten Vipassana-Praxis, gehört auch der Bodyscan. Hierbei wird die Aufmerksamkeit in einer bestimmten Reihenfolge auf verschiedene Körperteile gerichtet. Gedanken, Emotionen und Empfindungen im Hier und Jetzt sollen dabei wahrgenommen, jedoch nicht bewertet werden. Bodyscans werden gern mit Visualisierungen kombiniert.

Vipassana

Vipassana ist eine buddhistische Achtsamkeitspraxis, dessen Zweck "Einsicht" ist. Das bedeutet, die wahre Natur der Realität zu erkennen, indem Gedanken, Gefühle und Empfindungen bewusst und wertungsfrei beobachtet werden. Für Buddhisten ist die Befreiung von Leid durch diese Einsicht von Vergänglichkeit, Leid und Nicht-Selbst. In Vipassane-Retreats nehmen Schweigeünungen großen Raum ein, um die Konzentration zu fördern und die eigenen Reaktionen auf äußere Reize und innere Zustände besser zu verstehen.

Während dieses gedanklichen Abtastens des eigenen Körpers können nicht nur angenehme, sondern auch unbequeme Gedanken, Gefühle und Empfindungen aufkommen. Es gibt kein richtig oder falsch, gut oder schlecht. Es ist einfach das, was gerade ist. Die wertungsfreie Kenntnisnahme dessen, was gerade ist, trainiert gesunden Gleichmut.

"Starke Konzentration befreit den Geist, aber nicht bis in die Tiefe." (Satya Narayan Goenka)

In westlichen Ländern tendieren die Menschen sehr verkopft zu sein und glauben, sie können sich zu Zufriedenheit denken. Dabei lehren die fernöstlichen Traditionen die Körper-Geist-Einheit schon seit Jahrtausenden. Auch Siddhartha Gautama (Buddha) betonte eine körperorientierte Bewusstheit. Moderne Forschung, insbesondere die Traumaforschung belegt, dass das Unbewusste in unseren Körperempfindungen steckt. Das heißt, wer Verhaltensmuster, Gedanken, Gefühle, Trauma (etc) verstehen und transformieren möchte, darf dabei den Körper nicht vergessen. Merke: Jedes äußere Ereignis erzeugt Empfindungen im Körper. Wir können nicht alles, kognitiv erfassen, sondern müssen neben dem Geist auch den Körper erforschen. Tun wir dies mit Gleichmut, vermögen wir die tatsächlichen Bedingungen von Glück und Unglück im Leben zu erkennen.

Body-Mind-Connection

Wer regelmäßig den Bodyscan ausführt, schärft seine Sinneswahrnehmung sowie die damit einhergehende Selbstregulation und Resilienz. Darüber hinaus bringt der Bodyscan folgende Vorteile mit sich:

• Ausrichtung auf das Hier & Jetzt (Präsenz in der Gegenwart)

• Stärkung der Verbindung von Geist, Körper und Verhaltensweisen

• Verringerung von Reaktivität ("einen kühlen Kopf bewahren")

• Erhöhung der Konzentrationsfähigkeit

• Steigerung der Gelassenheit und Resilienz (Widerstandsfähigkeit)

• Verbesserung der Wahrnehmung von Körpersignalen

• Mehr Bewusstsein für das, was man wirklich braucht und damit einhergehende Genussfähigkeit

  
  

Der Bodyscan wirkt selbstredend auch auf den Geist. Statt mit alltäglichen Vermeidungsstrategien dem weniger Angenehmen aus dem Weg zu gehen und Probleme vor sich herzuschieben, können Bodyscan-Praktizierende einen bewussten Umgang mit jeder Form von Erfahrung erlernen. Der Geist lernt automatisch-unbewusstes Reaktionsverhalten zu verringern. Das heißt, wir sprudeln nicht mehr einfach los, sondern lernen gelassen(er) zu bleiben und bewusst zu entscheiden, wie wir mit einem bestimmten Reiz umgehen möchten.

Bodyscan und Trauma / Bodyscan und Angst

Angst und Trauma manifestieren sich im Körper, daher sind Gesprächs- und Verhaltenstherapien für Betroffene zwar von großer Bedeutung. Bedauerlicherweise reichen sie oftmals nicht aus, denn die Körperebene wird außer Acht gelassen. Der Bodyscan bringt Betroffene von häuslicher Gewalt oder sexuellem Missbrauch in eine verkörperte Erfahrung, dass alles vorbeigeht. Auch die unangenehmen Erinnerungen und Empfindungen über das Geschehene gehören zum Leben der Betroffenen dazu.

Menschen mit Angststörung können durch den Bodyscan mehr Selbstvertrauen in den eigenen Körper entwickeln und durch bewusstes An- und Entspannen lernen, akute Ängste wirksam zu regulieren.

Durch körperfokussierte Achtsamkeit lernen Menschen diese Empfindungen weniger zu bekämpfen, nicht mehr wegzuschieben oder zu verdrängen. Sie lernen nicht mehr automatisch reagieren zu müssen, sich nicht (mehr) mit dem Geschehenen zu identifizieren oder davon überwältigen zu lassen. Diese Erkenntnis öffnet Handlungsoptionen und Wege zur Heilung.

Wichtiger Hinweis: Menschen mit Traumata und/oder Angststörung sollten den Bodyscan nicht auf eigene Faust erlernen. Da solche Übungen auch unangenehme Gefühle und Erinnerungen aufwirbeln können, ist die Begleitung durch einen Therapeuten/Arzt angebracht.

Können Kinder den Bodyscan üben?

Ja, der Bodyscan ist wunderbar für Kinder geeignet. Schon ab einem Alter von vier bis fünf Jahren können selbst kleine Kinder in den bewussten Kontakt mit ihrem Körper gebracht werden. Auch für junge Menschen in der Pubertät ist diese Körpererfahrung sehr wertvoll, um sich selbst zu spüren. Sowohl die Dauer als auch die Anleitung des Bodyscans sollte dem Alter des jeweiligen Kindes angepasst werden.

Anleitung eines Bodyscan für Kinder als PDF-Download »»

Ist die Wirkung wissenschaftlich belegt?

Ja, die Wirksamkeit von Achtsamkeitsübungen und dem Bodyscan ist inzwischen gut erforscht. Hier ist eine Auswahl entsprechender Metaanalysen:

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Kann der Bodyscan psychische Leiden heilen?

Achtsamkeit ist ein sanftes Werkzeug, um Heilungsprozesse zu begleiten. Auch bei verschiedenen psychischen Erkrankungen können Achtsamkeitsübungen, zu denen auch der Bodyscan gehört, positiv wirken. Daher greifen immer mehr Therapeuten und andere Fachpersonen auf traditionelle und moderne Varianten zu, um ihre Patienten ganzheitlich behandeln zu können.

Jedoch wird der Bodyscan allein nicht ausreichen und ist schon gar nicht als Allheilmittel zu verstehen.

Wer darf den Bodyscan nicht ausführen?

Grundsätzlich ist der Bodyscan sehr sicher und kann von den meisten Menschen ausgeführt werden.

Bestimmten psychische Erkrankungen können eine Kontraindikation darstellen. Menschen mit Psychose, Depersonalisations-/ Derealisationsstörung, akutem Trauma, posttraumatischer Belastungsstörung, Depression oder Suchtproblematik sollten den Bodyscan nur unter ärztlicher/therapeutischer Anleitung erlernen, sofern der behandelnde Arzt/Therapeut dies für passend hält.

Was ist, wenn ich einschlafe?

Beim Bodyscan einzuschlafen, ist nun wirklich nicht schlimm. Wenn der Körper oder Geist Ruhe braucht, dann ist es halt so. Zwar verpasst jemand, der einschläft, den Zweck des Bodyscans, aber man kann ihn ja zu einem anderen Zeitpunkt nachholen.

Tipp: Gehe nicht mit dem Ziel der Entspannung in den Bodyscan, sondern mit der Intention, ein Mentaltraining durchzuführen. So ist das Bewusstsein auf Wachheit voreingestellt. Ausserdem schläft man eher ein, wenn der Bodyscan am späten Abend ausgeführt wird.

Können Christen/Muslime den Bodyscan üben?

Ja, obwohl die Wurzeln des Bodyscans im Buddhismus zu finden sind, werden heute moderne Varianten gänzlich ohne religiösen oder spirituellen Kontext angeleitet. Diese sind für Menschen jeglicher Glaubenskonzepte geeignet.

Fazit

Der Bodyscan wird seiner einfachen Struktur wegen viel zu oft unterschätzt. Tatsächlich ist er eine wirksame Übung, um in den eigenen Körper zu kommen, im Hier und Jetzt präsent zu sein und den Geist in Achtsamkeit zu schulen.